(伯恩哈德粉转起)Der Beschimpfer der Alpenrepublik als Meermensch。

Sie sind der Schlüssel zum Werk von Thomas Bernhard. Sie kehren sein Innerstes nach außen. Kein Text, der intimer, berührender ist als die fünf zwischen 1975 und 1982 geschriebenen Erzählungen, in denen der Autor seine traumatischen Kindheits und Jugenderinnerungen beschreibt. In gnadenloser Diktion erzählt er von der Schande seiner unehelichen Geburt, vom Verstoß durch die Mutter und von Aufenthalten in nationalsozialistischen Erziehungsheimen. Seine schwere Tuberkuloseerkrankung bringt ihn an den Rand des Todes. Doch er entscheidet sich für das Leben. Fünf berührende Erzählungen, gelesen von fünf der besten deutschsprachigen Schauspieler.

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Als „Seitensprünge“ bezeichnete sein Verleger Unseld die fünf autobiographischen Romane, die Thomas Bernhard von 1975 an eben nicht bei Suhrkamp, sondern im Salzburger Residenz-Verlag erscheinen ließ. Unselds Ärger ist verständlich – diese Bücher gehören zum Besten und Eindringlichsten, was Bernhard geschrieben hat. Dass sie jetzt ungekürzt als Hörbuch vorliegen, ist mehrfach bemerkenswert. Zum einen wegen der hohen Qualität der Produktion, zum anderen, weil Bernhard in dem Medium bisher erstaunlich wenig vertreten ist. „Auslöschung“, „Frost“, „Korrektur“ – von keinem dieser Hauptwerke gibt es bisher eine Hörbuchfassung, vom „Kalkwerk“ bloß eine stark gekürzte Version.
Woran liegt das? Wohl auch daran, dass diese monologischen Werke ausgesprochene Lese- und keine Vorlesetexte sind. Redundanz ist ein Killer im Hörbuch. Bernhard aber hat es verstanden, minimale Handlungen durch gewaltige artistische Rhetorik zu voluminösen Romanen zu strecken. Die obsessive Repetition in ausgefeilten Schachtelsätzen funktioniert und fasziniert bei der Lektüre. Was hier den spezifischen Bernhard-Sog erzeugt, das monomane Kreisen um einen Herkunftskomplex, eine fixe Idee, ein Hassobjekt, eine nie zu beendende Studie, ein architektonisches Projekt – beim Zuhören würde es ermüden oder penetrant wirken.
Mit Wut und Vehemenz
Die autobiographischen Schriften dagegen sind ideale Hörbuch-Vorlagen. Während der Repetitionsstil hier nur in gemilderter Form zum Einsatz kommt, ist der stoffliche Gehalt, der Reichtum an beschriebener Realität größer als in anderen Werken des Autors. Bernhards Reflexionsprosa hat hier ein breites biographisch-soziales Erfahrungsfundament: Es ist eine einzige Abfolge von fürchterlichen Demütigungen, Angst, Schrecken und Krankheit. Ständig wechselt die Rhetorik des Todes mit heroischen Überlebensentschlüssen; größte Unglaublichkeiten gehen immer mit einer Extraportion Wahrheitspathos einher. Zur Steigerung der existentiellen Dramatik ist dem Übertreibungskünstler jedes Mittel recht – und gerade diese Theatralität kommt dem Hörbuch zugute.
Der erste Band, „Die Ursache“, beschreibt das letzte Jahr des Zweiten Weltkriegs. Bernhard ist Schüler eines Salzburger Internats, gepeinigt von katholischen und nationalsozialistischen Erziehern. Er übt verzweifelt Geige und frönt Selbstmordgedanken. Unterdessen wird Salzburg von amerikanischen Bombern zertrümmert. Bernhard sieht es mit Horror und Genugtuung, denn: „Meine Heimatstadt ist in Wirklichkeit eine Todeskrankheit.“ Die Salzburgbeschimpfung wird von Ulrich Matthes nicht mit Wut und Vehemenz, sondern mit analytischer Präzision und subtilem Rhythmusgefühl gelesen.
Jeder Band wurde einem anderen Vorleser anvertraut. So wird immer eine andere Frequenz der Bernhardschen Sprachmusik vernehmbar: „Der Keller“ wird von Peter Simonischek gesprochen. Bereits beim Briefwechsel mit Unseld, einem der besten Hörbücher der letzten Jahre, hat Simonischek fulminant Bernhard gegeben: als von sich eingenommenen, hochfahrenden Willensmenschen. So weit ist der Sechzehnjährige noch nicht, auch wenn „Der Keller“ einen Willensentschluss zelebriert: den Moment, in dem er auf dem Weg zum verhassten Gymnasium kehrtmacht und „in die entgegengesetzte Richtung“ geht, in die verrufene Scherzhauserfeldsiedlung, wo er eine Lehre im Lebensmittelgeschäft beginnt.
Herta Pavian, 46 Jahre
So läuft jeder Band auf einen hochpathetischen Entscheidungsaugenblick hinaus. In „Der Atem“ ist es der Entschluss, am Leben zu bleiben. Wolfram Berger verleiht dem jugendlichen Thomas Bernhard, der sich beim Kartoffelabladen im Winter die Lungenkrankheit geholt hat und nun ins Sterbezimmer eines Krankenhauses abgeschoben wird, einen scharfen Ton – da tritt jemand an, um seine Existenz und seinen Traum von einer Gesangskarriere gegen alle Zumutungen zu verteidigen. Umgeben von Sterbenden, höhnt er über die urbane Verdrängung des Todes und den Umgang mit den Kranken und Moribunden. Der, der seinen Angehörigen „durch die Einlieferung ins Krankenhaus abgenommen worden ist, soll jetzt allein sein letztes, gleich wie fürchterliches Wegstück in den Tod gehen“, liest Berger mit einer beeindruckenden Satzmelodie von zynischem Schmäh.
Auf die beiden Österreicher folgt der Berliner Burghart Klaußner, dessen herb-kühle Lesart zum Titel des vierten Bandes passt: „Die Kälte“ ist der thematisch härteste Band der Reihe, in dem der Kranken- und Todesbetrieb der Lungenheilstätte Grafenhof beschrieben wird, das Röcheln, Spucken, Sputumproduzieren. Der Tod des geliebten Großvaters, der als lebenslang erfolgloser, aber umso verbissener um sein Werk ringender Schriftsteller später zum Archetyp all der elitär-verschrobenen Bernhardschen Geistesmenschen wird, hat den Achtzehnjährigen schwer getroffen; kurz darauf verliert er auch die Mutter. Er liest von ihrem Tod in der Zeitung: „Da entdeckte ich eines Tages unter der Rubrik Todesfälle der Zeitung die Notiz: Herta Pavian, 46 Jahre. Das war meine Mutter. Sie hieß Herta Fabjan, es bestand kein Zweifel, das Pavian beruhte auf einem Hörfehler der Zeitung. Herta Pavian, 46 Jahre, sagte ich immer wieder vor mich hin“. So steckt bei diesem Autor in der Tragödie immer auch die groteske Komödie.
Voss' kongeniale Lesung
Kein Zweifel, die Leiden des jungen Bernhard waren außerordentlich. Traumatisch ergiebiger können eine Kindheit und Jugend nicht sein, beginnend mit der 1931 noch als Schande empfundenen unehelichen Geburt. Seinen Vater hat Bernhard nie kennengelernt. Der notorische Österreich-Verachter beschreibt sich im Übrigen nicht als Alpenländer; er sei „im Grunde ein Meermensch“, denn er habe sein erstes Lebensjahr auf See verbracht. Um einen Skandal zu vermeiden, hatte ihn die Mutter in Holland zur Welt gebracht und in Pflege gegeben: „Die Lösung war ein im Hafen von Rotterdam liegender Fischkutter, auf welchem die Frau des Fischers Pflegekinder in Hängematten unter Deck hatte, sieben bis acht Neugeborene hingen an der Holzdecke des Fischkutters und wurden jeweils nach Wunsch der ein- oder zweimal wöchentlich erscheinenden Mutter von der Decke heruntergeholt und gezeigt. Ich hätte jedesmal jämmerlich geschrien und mein Gesicht sei, solange ich auf dem Fischkutter gewesen sei, von Furunkeln verunstaltet gewesen.“
Das ist eine kafkaeske Szene der Vernachlässigung aus dem fünften Band „Ein Kind“. Der große Theatermime Gert Voss trägt sie vor. In seinem temperamentvoll-jovialen, raumgreifend körperlichen Vortrag scheint das Schlimmste bereits bewältigt, weil es zur genießbaren Anekdote geworden ist. Selbst das Atmen wird bei Voss zum Ausdrucksmittel – ein leichtes Zischen, Schnaufen, Schlürfen, Luftschnappen wirkt pointierend. So geht es von einer Misere zur nächsten: „Ich hatte einen neuen, beinahe tödlichen Titel zu tragen: Bettnässer! Wenn ich von der Schule nachhause kam, schon auf halber Höhe der Schaumburgerstraße, sah ich mein Leintuch mit dem großen, gelben Fleck aus dem Fenster hängen. Meine Mutter hatte ja jeden Tag diese meine Schreckensfahne gehisst.“ Die pädagogisch überforderte Frau schickt den Sohn zur „Erholung“ – er findet sich in Thüringen wieder, in einem nationalsozialistischen Heim für schwer Erziehbare.
Voss’ kongeniale Lesung ist der Höhepunkt der Edition, der Band, mit dem man beginnen sollte, auch wenn er entstehungsgeschichtlich der letzte ist. In der biographischen Chronologie steht er am Anfang und liefert das Basiswissen für Bernhards Märtyrer-Vita. Diese Autobiographie ist nicht nur der Schlüssel zum Werk Thomas Bernhards, sie ist ein großes literarisch-therapeutisches Lebensbuch. Leidenden kann sie mit ihrer Ethik des Durchhaltens Mut einflößen.
Thomas Bernhard: „Autobiographische Schriften“. Gelesen von Ulrich Matthes, Peter Simonischek, Wolfram Berger, Burghart Klaußner und Gert Voss. Audio Verlag, Berlin 2010. 15 CDs, 1122 Min., 7
