Deutsch Lernen Tag 1
Nur für mich selbst.
Quelle: https://www.patreon.com/mygermanshortstories
Kurze Geschichte - Bibliothek
Früher habe ich mir ständig[YJ1] Bücher aus der Bibliothek ausgeliehen, die ich nicht brauchte. Ich bin zwar mit dem Vorsatz hingegangen, nur Bücher auszuleihen, die für dringend fällig[YJ2] Hausarbeiten nötig waren, aber der Stapel an willkürlich[YJ3] ausgesuchten Büchern war meistens wesentlich[YJ4] größer. Das waren Bücher, die ich beim Herumstöbern[YJ5] zufällig[YJ6] entdeckt hatte.
Die Stadtbibliothek
Sie ist wahrscheinlich die erste Bibliothek, die ich von innen gesehen habe. Sie steht im Zentrum meiner Heimatstadt. Passenderweise[YJ7] direkt neben dem Kulturzentrum. Skateboarder nutzen den glatten Boden vor ihr gerne, um stundenlang ihre Tricks zu üben. Ich war mal in einer Phase, in der ich nach Schule mit meinen Freuden in die Stadtbibliothek gegangen bin. Nicht um zu lesen oder um mir Bücher auszuleihen. Bei den Kinder- und Jugendbüchern stand ein großer weißer Schrank voll mit Spielen. Brettspiele, Würfelspiele[YJ8] , und Kartespiele. Statt nach House zu gehen, wo uns lästige[YJ9] Hausaufgaben erwarteten, haben wir uns lieber mit lustigen Spielen die Zeit vertrieben[YJ10] . Weil man in der Bibliothek nicht essen und trinken durfte, aber wir nach der Schule immer hungrig waren, mussten wir manchmal etwas in unseren Rücksäcken einschmuggeln[YJ11] . Meistens Kartoffelchips aus dem Hill Supermarkt um die Ecke.
Die Unibibliothek
Sie war um einiges größer als die kleine Stadtbibliothek zu Hause und es hat eine ganze Weile gedauert, bis ich mich dort einigermaßen auskannte. Auf über 10.000 Quadratmetern reihten sich Buch an Buch, Zeitschirift an Zeitschirift, und Monografie an Monografie. Getränke außer Wasser, Lebensmittel und Taschen mussten draußen bleiben. Dafür waren die Schließfächer da. Ein Schloss musste man selbst mitbringen. Ich hab´s mir oft vorgenommen[YJ12] , aber ständig vergessen. Für den Jacken gab es draußen Garderobenständer[YJ13] . Links vom Eingang saßen die Mitarbeiter an der Verbuchung. Rechts vom Eingang gab es Computer-Arbeitsplätze, die um die Mittagszeit so gut wie immer besetzt waren. Von dort aus hatte man einen direkten Blick auf den Eingang. Jedes Mal wenn ich in die Bibliothek kam, hatte ich das Gefühl, plötzlich im Rampenlicht zu stehen, weil mich vierzig Augenpaare angestarrt haben. Das war natürlich völliger Quatsch und bloß die Perspektiv einer Introvertierten. Dahinter befand sich die Zeitungsleseecke mit Sitzmöbeln aus schwarzem Kunstleder und einer Auswahl an diversen nationalen und internationalen Tageszeitungen. Selbst während der Klausurphasen, wenn alle Arbeitsplätze besetzt waren, hab ich da nur selten jemanden sitzen sehen.
Die Ausleihe
Für die Recherche habe ich mir meistens den Arbeitsplatz auf Ebene vier ausgesucht. Bei den Sprach- und Literaturwissenschaften. Da war meistens nicht so viel los wie unten in der Eingangsebene. Am Anfang hatte ich absolut keine Ahnung, was diese Etiketten[YJ14] hinten auf den Buchrücke bedeuten sollten. Die meisten waren weiß, manche waren gelb und andere rot. Dass die Bücher mit gelben Etiketten Kurzleihen waren, die maximal 24 Stunden ausleihbar sind, habe ich schmerzhaft zu spüren bekommen, nachdem ich mal eine saftige Mahngebühr[YJ15] zahlen musste.
Die Bücher
Mit der zeit bin ich länger und länger dort geblieben. Nicht nur, um zu arbeiten, sondern um die Ruhr zu genießen. Ich bin gerne die Bücherregale abgelaufen und habe mich von der Vielfalt beeindrucken lassen. Es gab so viele Themen, von denen ich noch nie etwas gehört hatte. Allein in der Präsenz solcher Bücher zu sein, hatte etwas Ehrfurchtgebietendes[YJ16] . So viel Talent, Erfahrung, Geschichte, Ideen, und Blickwinkel[YJ17] . Jedes Buch hat meine Welt ein Stück größer gemacht. Mache sagen, dass das Reisen und Bücher Ähnlichkeit miteinander haben. Das trifft den Nagel auf den Kopf[YJ18] , solange man die richtigen Bücher für sich findet. „Lesen ist wie eine Reise, bei der man sein eigenes Leben für eine Weile verlässt und mit einer neuen, sogar inspirierten Perspektive zurückkommt.“ Heißt es in diesem Zitat[YJ19] . Sie helfen einem die Welt und sich selbst zu verstehen. Ihre Zeilen haben die Macht, hohe Wellen zu schlagen. Das ist mehr Macht als manchen liebt ist, aber ein Buch findet den Weg zu denjenigen[YJ20] , die es brauchen. Früher oder später.
Heute
Meine Steuererklärung steht an. Weil ich weniger Ahnung davon habe als ich sie brauche, will ich mir ein paar Bücher aus der Stadtbibliothek ausleihen. Ich bin seit Jahren nicht mehr hier gewesen. Es sieht noch alles so aus wie damals. Nur den weißen Schrank gibt es nicht mehr. Mein Ausweis ist nach so langer Zeit natürlich abgelaufen. Der neue kostet 15 Euro. An den sechs Recherchearbeitsplätzen sitzt niemand. Fantastisch. Erfreulicherweise gibt es zum Thema Steuererklärung ausreichend Bücher. Die Signaturen notiere ich ins Handy und nach kurzer Zeit schleppe ich einen hohen Bücherstapel zur Verbuchung. Zu Hause packe ich sie aus dem Rucksack aus und lege sie erstmal auf dem Tisch. Bevor ich mich in den Steuerdschungel stürze, brauche ich etwas mehr Zeit, um mich mental darauf vorzubereiten. Aus Stunden werden Tage und aus Tagen werden Wochen. Bald läuft die Ausleihfrist ab. Ich greife zum Telefon. „Guten Tag!“ sage ich zur Bibliotheksmitarbeiterin. „Ich würde gerne die Leihfrist verlängern. Kann ich das bei Ihnen machen?“ „Ja, natürlich. Geben Sie mir mal bitte Ihre Ausweisnummer durch.“ „ll97384“ „Das hat geklappt. Die Bücher sind um weitere 30Tage verlängert.“ „Prima. Ich danke Ihnen. Tschüss.“
Das Ende
Ich schaue mir die Bücher an und merke, dass es keinen Stapel an willkürlich ausgesuchten Büchern mehr gibt. Statt mich wie früher Hals über Kopf auf sie zu stürzen[YJ21] , muss ich mich überwinden[YJ22] , sie aufzuschlagen[YJ23] . Als hätte ich Angst vor dieser neuen Reisen und dem, was mich erwartet.
[YJ1]often
[YJ2]urgently due
[YJ3]randomly
[YJ4]basically
[YJ5]etwas ausdauernd durchsuchen
[YJ6]occasionally
[YJ7]passend -er weise
[YJ8]Chess-Board Game / Dice Game
[YJ9]annoying
[YJ10]sich die Zeit vertreiben
[YJ11]smuggle
[YJ12]sich etwas vornehmen – to intend to do sth.
[YJ13]Coat Stand
[YJ14]labels
[YJ15]f. fine
[YJ16]awesome
[YJ17]m. Perspective
[YJ18]den Nagel auf den Kopf treffen: absolutely correct
[YJ19]citation
[YJ20]those
[YJ21]sich Hals über Kopf in etw. stürzen = to rush headlong into sth.
[YJ22]overcome
[YJ23]Bücher aufschlagen – open books